Sitzung: 02.11.2016 Haupt- und Finanzausschuss
Beschluss: empfohlen zur Beschlussfassung an Rat
Abstimmung: Ja: 10
Vorlage: 02/475/V/231/2016
Sachverhalt:
Durch Einführung des
neuen § 2 b in das Umsatzsteuergesetz (UStG) mit Wirkung ab 01.01.2017 wurde
die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand grundlegend neu geregelt und an europäisches Recht angepasst. Der
bisher für die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand maßgebliche § 2 Abs. 3 UStG wurde gestrichen und durch den
neuen § 2 b UStG ersetzt. Hiermit verbunden ist eine weitreichende Veränderung
der Umsatzbesteuerung der juristischen Personen des öffentlichen Rechts
(nachfolgend: jPdöR genannt). Im kommunalen Bereich sind das insbesondere
die kommunalen Gebietskörperschaften,
die Zweckverbände und die Jagdgenossenschaften. Der Gesetzgeber hat in § 27
Abs. 22 UStG eine Übergangsregelung in der Form vorgesehen, dass die von der
Neuregelung betroffenen jPdöR das Wahlrecht haben, ob sie das neue Recht
bereits ab 2017 anwenden wollen oder noch bis einschließlich des Jahres 2020
nach bisherigem Recht (§ 2 Abs. 3 UStG alte Fassung) behandelt werden wollen.
Zu entscheiden ist,
ob die Gemeinde von diesem Wahlrecht Gebrauch macht. Hierzu ist ein Ratsbeschluss erforderlich.
Soweit vom Wahlrecht Gebrauch gemacht werden soll, ist eine entsprechende
Erklärung bis zum 31.12.2016 gegenüber dem jeweils zuständigen Finanzamt
abzugeben (absolute Ausschlussfrist). Die Erklärung kann jederzeit mit Wirkung
ab dem jeweiligen Folgejahr widerrufen werden, gegebenenfalls sogar
rückwirkend.
Bisherige
Rechtslage und Historie
Hinsichtlich der
unternehmerischen Betätigung auf der Ebene der jPdöR und damit auch der
kommunalen Gebietskörperschaften war bislang § 2 Abs. 3 UStG maßgebend. Danach
sind jPdöR nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (nachfolgend: BgA
genannt) im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 6
und § 4 Körperschaftssteuergesetz sowie ihrer land- und forstwirtschaftlichen
Betriebe unternehmerisch tätig.
In Folge der
Anknüpfung an den BgA-Begriff unterlagen Tätigkeiten aus dem Bereich der
Vermögensverwaltung (z. B. die Jagdverpachtung) bislang nicht der Umsatzsteuer.
Weiterhin waren wirtschaftliche Tätigkeiten, die von jPdöR unterhalb der
ertragssteuerlich für BgA’s geltenden Bagatellgrenze von 30.678,00 € (neu seit
2016: 35.000,00 €) bezogen auf den nachhaltigen Jahresumsatz auch nicht der
Umsatzsteuer unterworfen. Diese „Nichtaufgriffsgrenze“ konnte für verschiedene Tätigkeiten mehrfach
und gesondert angewendet werden.
Der Bundesfinanzhof
hat sich in den letzten Jahren in
mehreren Urteilen zur Besteuerung der öffentlichen Hand geäußert, so dass für
den Gesetzgeber die Notwendigkeit bestand, die gesetzlichen Regelungen zu
bearbeiten und an europäisches Recht anzupassen.
Eckpunkte zur
Reform der Umsatzbesteuerung der
öffentlichen Hand
Die für die Annahme
der Unternehmereigenschaft maßgebliche Vorschrift des § 2 Abs. 3 UStG wurde
nunmehr gestrichen und durch den neuen § 2 b UStG ersetzt.
§ 2 b UStG befasst
sich nur noch mit der Frage der Steuerbarkeit von Tätigkeiten, die den jPdöR im
Rahmen der sogenannten „öffentlichen Gewalt“ obliegen. Zukünftig gelten demnach
für privatrechtliche Tätigkeiten jPdöR uneingeschränkt die allgemein gültigen Regelungen
des Umsatzsteuergesetzes. Der Begriff „Betrieb gewerblicher Art“ ist für die
Frage der Umsatzsteuerpflicht der jPdöR nicht mehr relevant. Auch die bisher
generell steuerbefreite Vermögensverwaltung unterliegt spätestens ab 2021 den
allgemein gültigen Regelungen des Umsatzsteuergesetzes (vgl. aber Befreiungsnormen gem. § 4 UStG).
Nur die im Rahmen
„öffentlicher Gewalt“ erbrachten Leistungen können nach den Neuregelungen des §
2 b UStG von der Umsatzsteuer ausgenommen sein. Dies wiederum gilt jedoch
nicht, sofern eine Behandlung als Nichtunternehmer zu größeren
Wettbewerbsverzerrungen führen würde.
Der neue § 2 b UStG
enthält viele unbestimmte Rechtsbegriffe und ist daher momentan mit ungeklärten
Zweifelsfragen behaftet. Hier besteht ein deutlicher Interpretations- und
Auslegungsbedarf durch die Finanzverwaltung. Es wurde hierzu ein Schreiben des
Bundesministeriums der Finanzen (nachfolgend: BMF-Schreiben genannt)
angekündigt, welches aber voraussichtlich erst Ende 2016 erscheinen wird.
Unklar ist auch, ob dieses tatsächlich bereits alle notwendigen Klarstellungen
enthalten wird. Das BMF-Schreiben ist unabdingbare Voraussetzung für den
weiteren Umstellungsprozess.
Folge für die
kommunalen Gebietskörperschaften
Aufgrund der
bisherigen „Nichtaufgriffsgrenze“ in Höhe von 30.678,00 € (neu: 35.000,00 €) –
bezogen auf gleichartige Tätigkeiten – waren in der Vergangenheit allenfalls in
Ausnahmefällen klar abgrenzbare Tätigkeiten von der Umsatzsteuer betroffen.
Dies wird sich durch den vollzogenen Systemwechsel spätestens ab 2021
gravierend ändern.
Es wird zwingend
erforderlich sein, alle Umsätze auf privatrechtlicher Grundlage vollständig zu
erfassen, um die Steuerrelevanz nach den allgemein gültigen Vorschriften des
Umsatzsteuergesetzes prüfen zu können (z. B. Anwendung von
Steuerbefreiungsvorschriften oder der sogenannten Kleinunternehmerregelung von
17.500,00 € für alle Einnahmen aus
wirtschaftlicher Tätigkeit).Die Verschärfung der Umsatzbesteuerung macht
insofern umfängliche Vorbereitungsarbeiten notwendig, die spätestens 2020
abgeschlossen sein müssen. Eine steuerfachliche Beratung wird sich häufig nicht
verhindern lassen, um das Risiko der Rechtsfolgen bei Verstößen gegen
steuerliche Vorschriften zu vermeiden.
Optionsmöglichkeit
gem. § 27 Abs. 22 UStG
Der neue § 2 b UStG
gilt ab dem 01. Januar 2017. Die Neuausrichtung der Umsatzbesteuerung der
öffentlichen Hand stellt einen deutlichen Paradigmenwechsel dar. Deshalb wurde
im neuen § 27 Abs. 22 UStG eine Übergangsregelung geschaffen, die es den
Betroffenen ermöglicht, die bisherige Rechtslage bis einschließlich des Jahres
2020 fortzuführen. Dieses Wahlrecht kann nur einheitlich für alle
Umsätze der jPdöR (d. h. der Gemeinde, des Zweckverbandes, der
Jagdgenossenschaft usw.) ausgeübt werden (kein „Rosinenpicken“). Eine
entsprechende Erklärung muss dem zuständigen Finanzamt spätestens bis zum
31.12.2016 vorgelegt werden (die Ausübung des Wahlrechts ist danach nicht mehr
möglich).
Für die Ausübung des
Wahlrechts sprechen insbesondere
-
die
Vielzahl von Rechtsunsicherheiten (unbestimmte Rechtsbegriffe, deren konkrete
Auslegung bisher nicht einmal ansatzweise vorgenommen wurde bzw. erkennbar ist)
-
die
vorgenannte Möglichkeit des Widerrufs (das Wahlrecht kann nach 2016
jederzeit widerrufen werden)
-
der
Umstand, dass es bisher keine Checkliste bzw. Fragebögen zur Ermittlung der
umsatzsteuerrelevanten Leistungen gibt
-
dass
die Erfassung und Bewertung aller Leistungen einen erheblichen Personal- und
Zeitaufwand (inkl. steuerfachlicher Beratung bzw. verbindliche Anfragen in
Einzelfällen an das Finanzamt) in Anspruch nehmen wird
Der Gemeinde- und
Städtebund empfiehlt vor diesem Hintergrund seinen Mitgliedern vom Wahlrecht
Gebrauch zu machen. Auch auf Kreisebene haben sich in einer Arbeitstagung alle
Kämmerer für eine Ausübung des Wahlrechts ausgesprochen. Innerhalb einer
Verbandsgemeinde empfiehlt es sich alleine aus verwaltungspraktischen Gründen
ohnehin, das Wahlrecht einheitlich auszuüben.
Die Abgabe der
Erklärung gegenüber dem Finanzamt gem. Ratsbeschluss wird gebündelt sowie
frist- und formgerecht durch die Verwaltung erledigt. Die diesbezüglichen
konkreten Verfahrensregelungen werden noch vom Gemeinde- und Städtebund mit der
Finanzverwaltung abgestimmt.
Der Haupt- und
Finanzausschuss empfiehlt dem Stadtrat
einstimmig das Wahlrecht nach § 27 Abs. 22 UStG 2016 auszuüben. Die
Verwaltung soll beauftragt werden, die entsprechende Erklärung gem. den
Vorgaben der Finanzverwaltung bzw. den ergänzenden Hinweisen des Gemeinde- und
Städtebundes frist- und formgerecht abzugeben.